„Eltern sollten ihren Kindern mehr zutrauen“

Mädchen untersuchen einen Busch mit einer Lupe.

Eltern stehen vor einem Dilemma: Technische Neuerungen spielen eine immer größere Rolle in der Lebenswelt der Kinder. Gleichzeitig sehen Pädagogen mit Besorgnis die wachsende Entfremdung der Kinder von der Natur. Britta Schäfer arbeitet als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) und schrieb Ihre Abschlussarbeit über die kindliche Lebenswelt im Waldkindergarten. Sie fordert, dass Eltern und Wissenschaft die Kinder ernst nehmen sollten.

Wie hat sich das Bild auf die Kinder im Laufe der Zeit verändert?

Britta Schäfer: Im Mittelalter sah man in den Kindern kleine Erwachsene, beispielsweise erledigten sie ähnliche Arbeiten wie diese. Im 18. Jahrhundert fand ein Umdenken statt. Das Kind galt nun als Entwicklungswesen – eine Vorstellung die bis jetzt anhält. Moderne wissenschaftliche Publikationen gehen heute einen Schritt weiter: Sie sehen die Kinder im Hier und Jetzt. Sie begreifen die Kinder als Seiende und nicht als Werdende. In den Debatten kommen oft nur Eltern und die Entwicklung vor. Natürlich ist Entwicklung ein wichtiger Faktor, aber er taucht zu oft auf.

Ich kann doch die Kinder fragen: Was findest du gut? Ich meine, die meisten Eltern wollen das Beste für Ihr Kind. Die Frage ist, ob Sie nicht zu viel eingreifen, wenn Sie so überbeschützend sind. Manche Eltern sind übereifrig, um ihren Kindern die bestmögliche Entwicklung zu bieten. Aber dabei schränken sie deren Freiraum ein.Trotz allem sollten Sie Ihre Kinder fördern, zu wenig wie zu viel ist nicht gut.

Welche Rolle spielt der Einfluss von neuen Technologien?

Schäfer: Die letzten zehn Jahre werden die Kinder in anderem Maß mit Technik groß. Das hat sich ebenso verändert. Die Frage ist, ob das negativ zu bewerten ist – da es sich um eine gesellschaftliche Entwicklung handelt. Ich finde es nicht gut, Kinder von technischen Entwicklungen fernzuhalten.

Technik gehört zu unserer Welt und die Kinder sollten sich damit auseinandersetzen. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass ein regelmäßiger Aufenthalt in der Natur positive Effekte für die meisten Kinder hat. Ein gutes Maß für beide Dinge wäre sinnvoll.

Eine Familie geht im Wald wandern.

Spaß für die ganze Familie: Ein Ausflug in den Wald Foto: © lunaundmo – Fotolia.com

Das Verhältnis von Kindern zur Natur wird in den Medien viel diskutiert

Schäfer: Das stimmt. Diese Klage über die Entfremdung von der Natur bildet vielmehr einen Trend, der mit der zunehmenden Technologisierung und Ökologisierung in der Gesellschaft einhergeht. Diese Diskussionen in den Medien sind oft sehr subjektiv und beeinflussen die Eltern. Beispielsweise fällt mir das Buch „Das letzte Kind im Wald?“ von Richard Louv ein. Er spricht von einem Naturdefizitsyndrom, einer Entfremdung von der Natur. Der Mensch ist seiner Meinung nach dafür geschaffen, mehr draußen zu sein.

Das Buch wurde viel diskutiert, immer mehr beklagen diese Entfremdung von der Natur. Natur ist dabei ein wandelbarer Begriff und findet hier eine sehr romantische Darstellung. Natur kann aber durchaus gefährlich sein, beispielsweise bei Naturkatastrophen. Trotz allem zeigen Studien: Kinder sitzen öfter drinnen und bewegen sich weniger. Das ist ungesund, mehr Bewegung draußen wäre da sehr hilfreich.

Was hat sich verändert?

Schäfer: Studien zeigen: Früher hat das Kinderleben mehr auf der Straße stattgefunden. Heute dagegen findet eine Verhäuslichung oder Verinselung der Kindheit statt. Beispielsweise sind die sozialen Gruppen nicht mehr so vermischt. Früher waren die Kinder oft in den Nachbarschaftsverbund eingebunden. Die Räumlichkeiten waren kleiner und die Kinder spielten draußen. Sie verbrachten die Kindheit auf der Straße oder in deren näherem Umfeld.

Heute erhält Kindheit mehr Bedeutung, die Kinderzimmer werden immer größer. Auch bleiben die Kinder immer mehr Zuhause bei Ihren Eltern. Die Wissenschaft spricht deswegen von der Verhäuslichung. Das Aufwachsen der Kinder bestimmt damals wie heute vor allem der Alltag der Erwachsenen mit. Wenn die Eltern den Kindern die Natur nicht zeigen, dann lernen sie das nicht.

Sollen Kinder Kontakt zur Natur haben?

Schäfer: Das ist schwierig zu generalisieren. Es gibt erwiesenermaßen positive Effekte, die Naturkontakte für Kinder haben. Die Frage ist, ob Sie den Naturkontakt jedem Kind aufzwingen sollten. Ich kenne zum Beispiel Kinder, die von klein auf nicht dreckig werden wollen. Wenn ein Kind nicht gerne draußen ist, ist es dann in der Natur glücklich? Ist das gut für das Kind und seine Entwicklung?

Da würde ich appellieren, dass Eltern prüfen, ob das Kind sich in der Natur wohlfühlt. Wenn das der Fall ist, fördern sie das am besten. Aber wenn ein Kind weint, wenn es etwas Matsch an die Hose bekommt, stellt sich die Frage, ob ein Naturaufenthalt so sinnvoll ist. Wenn das Kind sich nicht wohlfühlt, dann ist die Voraussetzung für positive Lerneffekte nicht gegeben.

Andererseits zeigen Studien, dass der Kontakt mit der Natur die Motorik und Flexibilität fördert. Auch die Kommunikationsfähigkeit ist beispielsweise bei Kindern, die einen Waldkindergarten besuchen, stärker ausgeprägt als bei ihren Altersgenossen in einem Regelkindergarten.

Wie kommt mein Kind am besten in Kontakt mit der Natur?

Schäfer: In der Stadt ist ein Naturerlebnis durch die vielen befahrenen Straßen schwieriger umzusetzen. Gerade wenn Sie die Natur nicht vor der Tür haben oder die Möglichkeit, sich ins Auto zu setzen. Dann ist es schwieriger, dem Kind Natur näher zu bringen.

Ich schlage vor, dass Sie in der Familienzeit mit den Kindern raus gehen. Lehren Sie Ihnen, was Sie über Pflanzen und Tiere wissen. Machen Sie Ausflüge in den Wald! Wenn Sie selbst begeistert von der Natur sind, vermitteln Sie das sicher gut. Als Alternative bietet sich ein Waldkindergarten an – wenn Sie Ihrem Kind die Natur näher bringen möchten, aber selbst nicht gerne rausgehen.

Von Lisa Mayerhofer

Foto oben von: © altanaka – Fotolia.com

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Kategorien: Kinder und Natur